Jedes Jahr im Oktober wird der Baum des (nächsten) Jahres gekürt. Er wird von der Baum-des-Jahres-Stiftung ausgerufen, in deren Kuratorium zum Beispiel das Bundesamt für Naturschutz und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald sitzen. Jetzt war es wieder soweit und die Wahl fiel auf die Winter-Linde (Tilia cordata). Eine gute Wahl, wie ich finde. Allerdings bin ich voreingenommen, denn vor unserem Haus steht ein stattlicher Baum dieser Art.
Mein Loblied der Linde
Ich liebe unsere Linde gleich aus mehreren Gründen. Zwei davon sind, dass sie eine wunderschöne Krone hat und so stark ist, dass sie vor ein paar Tagen unser Gartentor aus den Angeln gehoben und umgeschubst hat (echt wahr!). Ein weiterer Grund ist ihr wunderbar betörender Duft zur Blütezeit. Als ich noch in Berlin wohnte, schnupperte ich mich im Sommer am liebsten durch die Bezirke, in denen Linden die Alleen säumten. Und davon gab und gibt es einige, denn der Baum ist langlebig, robust und wenig anfällig. Ein idealer Straßenbaum und toller Schattenspender für die Flaniermeilen der Stadt. Die Winterlinde ist außerdem eine gute Bienenweide. Zur Blütezeit im Juni-Juli summt unser Baum von Bienen und Hummeln. Den Imker in der Nachbarschaft wird das freuen und ich hoffe auf Lindenblütenhonig auf dem Markt. Dafür nehme ich auch gerne den klebrigen Honigtau in Kauf, der mein Auto mit einer Zuckerlösung überzieht und mich zu dieser Jahreszeit fast täglich in die nahegelegene Wasch-Station treibt.
Bäume begründen
Davon weiß die Baum-des-Jahres-Jury natürlich nichts, trotzdem deckt sich ihre Begründung in Teilen mit meinem Loblied. Gewürdigt wurden außerdem die vielfältige Verwendungsmöglichkeit des Baumes und seine mythologische Bedeutung. Das Holz eignet sich hervorragend zum Schnitzen. Zahlreiche Figuren in Kirchen sind aus diesem Holz, dem sogenannten „Heiligenholz“, entstanden. Die Blüten haben zudem Heilkraft und werden in der Naturheilkunde für Tees, Honig und Umschläge verwendet. Lindenblüten fördern die Abwehrkräfte; sie wirken schweißtreibend, krampflösend und magenstärkend.
Liebe, Gericht und Tanz
In vielen Kulturen galt die Linde als Baum der Liebe. Ob die herzförmige Krone (mit der Spitze nach oben) oder die herzförmigen Blätter Anteil daran hatten? Auf jeden Fall gibt es zahlreiche Lieder, in denen der Baum besungen wird. Der Germanen weihten die Linde Freya, der Göttin der Liebe, des Glücks, der Fruchtbarkeit und des guten Hausstandes. So ist wohl auch zu erklären, warum die Linde als Hausbaum geschätzt ist und häufig vor alten Häusern steht. Sie ziert Markt- und Dorfplätze und war Versammlungs- und Gerichtsort gleichermaßen. Gasthäuser tragen ihren Namen, unter ihnen wurde getanzt und es gibt sogar Linden, in denen sich der Tanzboden in der Krone befindet, oder um den Stamm herumgebaut wurde.
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