Ein Leben ohne Baum ist für mich nicht vorstellbar – und da rede ich jetzt nicht vom Weihnachtsbaum, den es derzeit an jeder Straßenecke zu kaufen gibt. Ich rede von den Eichen und Linden, die in unserem Garten standen, den schwedischen Birkenwäldern und den Pappeln meiner Kindheit, den Obstbäumen im Schrebergarten und den alten Buchenwäldern, die Weltnaturerbe geworden sind. Die Beziehungen zwischen Baum und Mensch sind vielfältig und uralt. Wie schön, dass es ein Buch gibt, in dem 80 von ihnen mit spannenden Geschichten und einer Fülle an Informationen ein Denkmal gesetzt wird.
Durch alle Kontinente
Es gibt über 60.000 Baumarten, und da die wenigsten von uns Botaniker sind, kennen wir davon nur einen verschwindend kleinen Teil. Diesem Mangel an Baum-Wissen kann das Buch nicht abhelfen, aber es liefert eine Auswahl an bemerkenswerten Bäumen von allen Kontinenten – fast allen, denn die Antarktis ist baumlos. Auf der Baum-Reise um die Welt lernt man Bäume mit erstaunlichen Fähigkeiten kennen und erfährt, dass sie nicht nur den Rohstoff Holz liefern, sondern auch Medizin. Darüber hinaus bieten sie Nahrung und Lebensraum für unzählige Arten. Einige Beispiele gefällig? Die bei uns heimische Platane kommt sehr gut mit Luftverschmutzung zurecht, indem sie Teile ihrer Rinde abwirft. Der in Nordafrika wachsende Arganbaum ist trotz Dornen ein beliebter Kletterbaum für Ziegen, die seine Früchte lieben. Aus den Samen wird das wertvolle Arganöl gewonnen, das in Marokko unter anderem bei Hautkrankheiten zum Einsatz kommt. Wie Engelsflügel sehen die Mopaneblätter aus, auf denen Nachtfalter ihre Eier ablegen. Die Raupen, die aus ihnen schlüpfen, gelten zum Beispiel in Simbabwe als Leckerei.
In Indien wächst der Bobaum, der Buddhisten, Hindus und Jainas gleichermaßen heilig ist. Seine Samen werden von Staren und Fledermäusen verbreitet. Nicht selten wachsen dann neue Bobäume aus Felsritzen und Fugen und dürfen nicht entfernt werden. Baumschutz aus religiöser Überzeugung! Ohne den weißen Maulbeerbaum gäbe es keine Seide, ohne den Lack-Sumach keine japanische Lack-Malerei und ohne den giftigen Milchsaft des indonesischen Upasbaums wären die Blasrohrpfeile der indigenen Bevölkerung weit weniger wirkungsvoll. Die Früchte des Durianbaums stinken entsetzlich, die Wollemikiefer gab es schon vor den Dinosauriern und die Sève bleu scheidet türkisfarbenen Latex aus, der große Mengen giftigen Nickels enthält.
Viel mehr ließe sich noch über das Buch sagen, das mit zauberhaften Illustrationen aufwartet. Nur eines noch und damit kurz zurück zu Weihnachten: Die drei Weisen brachten zur Krippe neben Gold auch Weihrauch und Myrrhe mit, die zur damaligen Zeit sehr kostbare Arzneimittel waren. Beides sind Baumharze, die durch das Anschneiden der Rinde gewonnen werden.
Falls euch noch ein Weihnachtsgeschenk fehlt, sind die „80 Bäume“ eine sehr gute Wahl: Kurzweilig, informativ und sehr schön anzusehen.
Jonathan Drori
In 80 Bäumen um die Welt
Illustriert von Lucille Clerc
Laurence King Verlag GmbH, Berlin 2018
ISBN: 978-3-96244-016-9, € 24,00
Autorin: Karolin Küntzel
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16. Dezember 2018 um 22:05
Was für ein tolles Buch – Danke für die Vorstellung! Viele Grüße aus der Parzelle94 🙂
16. Dezember 2018 um 22:35
Lieber Stefan, schön von dir zu hören und fein, dass dir die Vorstellung bzw. das Buch gefällt. Es ist toll und ich schmökere jeden Abend einen Baum.
Liebe Grüße
Karolin