Auf dem Dach, unter dem wir unser Büro haben, gurrt eine Taube. Mich macht dieses Geräusch wahnsinnig, Johanna stört es nicht. Ich kann gurrende Tauben schon seit meiner Kindheit nicht leiden. Wir wohnten damals in einer großen Wohnung, von deren Küche ein Hinterausgang über eine Wendeltreppe zum Hof führte. Wenn wir den Müll runterbrachten, mussten wir dort immer an gurrenden, brütenden und manchmal auch halbtoten Tauben vorbei. Seitdem ist meine Beziehung zu Tauben etwas angespannt. Das hindert mich aber nicht, ihrem tollen Orientierungsvermögen mit diesem Beitrag Tribut zu zollen.
Geflügelte Boten
Der Einsatz von Brieftauben zur Übermittlung von Botschaften und Geheiminformationen hat eine Geschichte, die Tausende von Jahren zurückreicht. Die alten Ägypter nutzten sie beispielsweise schon zum Versenden von Briefen. Auch das Militär erkannte die Vorteile des ungehinderten grenzüberschreitenden Verkehrs und verschickte mithilfe der Tauben geheime Nachrichten. Heute werden Brieftauben nur noch selten zum Verbreiten von Informationen genutzt, ein Anruf oder eine SMS sind einfach schneller und oft genug hat man gerade keine Taube zur Hand. Brieftauben gibt es trotzdem noch reichlich, auch wenn die Haltung der geflügelten Boten inzwischen oftmals ein reines Hobby ist. Zugegeben, die Fähigkeit der Tiere über Hunderte von Kilometer zurück in ihren Schlag zu finden, ist faszinierend. Oft sind sie dabei sogar erstaunlich schnell. Woher kennen sie die Route so genau?
Links, rechts und dann geradeaus
Brieftauben orientieren sich an Landmarken, vermutet man schon lange. Die tierischen Postboten folgen Autobahnen, biegen am Kreisverkehr ab, erkennen Häuser, Türme, Hügel und Flüsse wieder. Sie besitzen außerdem wie andere Vögel auch eine innere Uhr, wissen, wie spät es ist, und orientieren sich am Stand von Sonne und Sternen. Allerdings lässt sich damit nicht erklären, wie sie von fremden Orten aus nach Hause finden. Um eine unbekannte Strecke zu fliegen, gingen Wissenschaftler bisher von einem weiteren Hilfsmittel aus, einer Art eingebauten Kompass.
Voll magnetisch
Im Taubenschnabel befinden sich verschiedene Eisenoxide, darunter Maghämit und Magnetit. Diese Mineralien sind in den Nervenzellen am Rande des Oberschnabels, in den Organen und den Augen zu finden. Mit ihrer Hilfe messen die Vögel das Erdmagnetfeld und bestimmen damit ihre geographische Position. So glaubte man zumindest bis 2012. Dann veröffentlichten Le-Qing Wu und David Dickman (Baylor College of Medicine, Houston) eine Studie, in der das Innenohr der Tiere als Sitz der magnetischen Zellen benannt wird. Ob dort die geographische Breite und Länge ermittelt und weiterverarbeitet wird, ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. Die Taubenorientierung ist also noch nicht vollständig entschlüsselt. Bis dahin gilt: Auf unbekannten Flugrouten und bei schlechter Sicht fliegt sie „irgendwie” magnetisch.
Die Taube auf dem Dach ist inzwischen ohne mein Zutun verschwunden und gurrt nun wahrscheinlich auf einem anderen First. Warum sie überhaupt gurrt, erzähle ich euch in meinem nächsten Beitrag.
Autorin: Karolin Küntzel
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