Vor ein paar Tagen habe ich das Kind von der Schule abgeholt. Während wir nach Hause schlenderten, flogen Zugvögel über uns hinweg. Wir sahen ihnen nach, und als sie aus unserem Blickfeld verschwunden waren, fragte das Kind: Warum fliegen die Vögel hintereinander und nicht nebeneinander. Und warum bilden sie dabei ein V? Machen sie das, weil Vogel auch mit einem V anfängt
Die Idee ist super, hält wissenschaftlichen Erkenntnissen allerdings nicht stand. Meine situationsbedingte, kindgerechte Erklärung für das Vogel-V lautete kurz und knapp: Das ist ähnlich wie beim Radrennen. Die hinteren Fahrer nutzen den Windschatten und sparen dadurch Energie. Für sie ist das dann weniger anstrengend. Nach einer Weile werden die Plätze getauscht und dann muss mal ein anderer nach vorne und den anstrengenderen Part übernehmen. Das Kind war zufrieden, doch mir ließ die Frage keine Ruhe mehr. Wie genau funktioniert das wirklich bei Vögeln?
Die Theorie
Ich bin ja nicht die Erste, die diese Frage umtreibt. Wie Vögel sich in Schwärmen organisieren, ist Gegenstand vieler Forschungen. Für das Vogel-V gab es bisher Modelle, mit deren Hilfe die aerodynamischen Vorteile ermittelt wurden. Ihnen zufolge verbrauchen die Vögel in der Formation (so sie nicht an erster Stelle fliegen) 20 Prozent weniger Energie als Tiere, die alleine unterwegs sind oder außerhalb des „Vs“ fliegen. Angesichts der großen Strecken, die Zugvögel zurücklegen, ist es denn auch schlau, mit der Kraft Haus zu halten.
Die Praxis
2014 erschien ein Bericht in der Fachzeitschrift „Nature“, der ein erstaunliches Experiment beschreibt. Forscher der Universität London begleiteten 14 Waldrappen (Ibis-ähnliche Vögel, die in Mitteleuropa so gut wie ausgestorben sind) in einem Leichtflugzeug auf ihrem Weg ins Winterquartier. Die dabei gewonnenen Daten und entstandenen Filmaufnahmen belegten erstmals, dass sich Zugvögel an ihrem Vordervogel orientieren und ihre Flügelschläge synchronisieren, um möglichst energiesparend zu fliegen. Dabei nutzen sie die Aufwinde, die durch den Flügelschlag des Vordervogels entstehen. Fliegen sie zu dicht hinter ihm, geraten sie in die Abwinde, die beim Senken der Flügel entstehen. Durch Verwirbelungen an den Flügelspitzen entstehen aber auch Aufwinde, die sich die Vögel zunutze machen. Sie sind bei einer um 45 Grad versetzten Position zum Vordermann und einem Abstand von ungefähr 1,20 Meter zu ihm am stärksten. Geraten die Vögel während des Fluges „aus dem Takt“, steuern sie sofort gegen und nehmen erneut die Idealposition ein.
Alles klar? Noch längst nicht!
Es ist ja oft so. Hat man eine Frage geklärt, tauchen gleich mehrere neue auf. Warum sollte das bei dem Vogel-V anders sein. Klar ist, dass die Vögel während des Fluges aufeinander reagieren, um Energie zu sparen. Woher sie allerdings genau wissen, wo sich die Auf- und Abwinde befinden, ist noch nicht erforscht. Erkennen sie das am Vordervogel, fühlen sie es mit den Federn oder probieren sie es schlicht aus und lernen aus ihren Erfahrungen?
Wenn das Kind bereit für diese Frage ist, bin ich hoffentlich schlauer und habe eine Antwort parat.
Den Bericht aus „Nature“ gibt es hier zum Nachlesen: http://www.nature.com/articles/nature12939.epdf- Plastik in der Arktis - 2. Februar 2024
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